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MARK LAMMERT – FIGURES

MARK LAMMERT

(…) Es geht darum, wie die Farbe sich mit dem Grund verbindet, wie sich schichtenweise Übermalungen zu immer neuen Tönen formen, die Farbe Reliefs bildet, in denen sich das Licht reflektiert oder bricht, und es geht um die Hintergründe, die oftmals zu Vordergründen werden – wenn wir sie betrachten. Was hier wie die Beschreibung eines formalen Exerzitiums erscheinen mag, hat daneben eine geistige Dimension, die nicht nur in der Materialität der Werke selbst liegt. Lammerts Bilder der letzten Jahre sind immer auch vereinzelnde Reflexe körperlicher Tatbestände. Man kann wohl sagen, daß auf der inhaltlichen Ebene dieser Daseinsrecherche der Kunst auch eine Untersuchung heutiger Möglichkeiten des Menschenbildes im Zentrum steht. Denn bei all seiner Verknappung zum Elementaren hin hat Mark Lammert die Figur nicht verlassen. Sie bleibt als Ausgangspunkt der vielfältigen und vielschichtigen Fragmentierungen immer anwesend, auch wenn sie nicht der eigentliche Anlaß ist. Das ist es, was Hans Blumenberg gemeint haben könnte, als er das schöne Wort von den „äußersten Ermattungsresten der Urbilder“ fand, die gleichsam archaische Figuration, abwesend und doch zugleich spürbar

(…) In allem ist sie zugleich Bild und polyvalentes Zeichen, niemals individuell im Gegenstand – umso mehr in der Weise ihrer Hervorbringung. Nur unterbrochen durch die Theaterarbeit und das sommerliche intensive Zeichnen arbeitet Mark Lammert über lange Zeiträume, oft über Jahre an seinen Bild-Konvoluten. Deren Teile sind aufeinander bezogen und bearbeiten jeweils ein Thema. Das kann das Weiß sein, das Schwarz, die Primärfarben oder einfach der Raum, das Licht im Spiegel der Koloristik älterer Kunst. Innerhalb der einzelnen Komplexe geschieht das nur vordergründig als Variation. Genau besehen, stellt jedes Bild sein eigenes Problem heraus. Es handelt, wenn wir das so sagen wollen, von Erscheinen, von Zum-Vorschein-Kommen und Verschwinden, Verletzung und Zerstören, ist Ziel und Fragment in einem, hat keine Erzählung sondern ist gestaltgewordene Wahrnehmung. Dahinter steht ein ebenso komplexes wie im besten Sinne eklektisches Verhältnis zur Kunstgeschichte und zu bildanalytischen Verfahren. Man kann nicht über die Malerei nachdenken, ohne sich zugleich mit dem auseinanderzusetzen, was die Maler vor uns vollbracht haben. Und man kann auch nicht über Malerei nachdenken, ohne die ästhetischen und mythischen Wirkungen und Bedeutungen zu reflektieren, die anderen Bildwelten etwa die des Films gezeugt haben.

(…) In einem Text über zitiert Mark Lammert André Malraux, der seinerseits Picasso zitiert mit dem erstaunlichen Satz: „Wenn die Leute die chinesische Sprache verstehen wollen, dann sagen sie: Ich muß Chinesisch lernen. Oder? Warum sagen sie nie, daß sie auch die Malerei lernen müssen?“ Für Mark Lammert gibt es in der Kunst der Neuzeit keine Entwicklung zu einem wie auch immer gedachten Höheren. Die Dinge stehen miteinander in Verbindung, sie unterscheiden sich, es gibt interessante und weniger interessante, aber was es nicht gibt in der Kunst, ist das, was wir früher mal den Fortschritt nannten. Die Fresken der frühen Italiener, die sogenannten Alten Meister, Caravaggio, Rembrandt, Velazquez oder Goya, die Modernen, Monet, Manet, auch Picasso, alle diese Fixsterne leuchten gleich hell von diesem Himmel, wie diesen sieht man ihnen die unterschiedliche Entfernung nicht an. Wenn Mark etwas von ihnen zitiert, so sind es Benachbarungen von Farbklängen, Texturen, Innerlichkeiten der spezifischen Empfindung. Das ist der eigentliche Inhalt. Seit langem hegt Mark ein Interesse für die Grenzbereiche zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Erkenntnis. Seit Jahren durchstreift er die Antiquariate und Flohmärkte Europas auf der Suche nach Illustrationen aus der Zeit der Aufklärung. Veterinär- und humanmedizinische Kupferstiche, Anatomien vor allem und natürlich die Blätter aus Diderots und d’Alemberts Enzyklopädie sind die Referenzen seiner anatomischen Relikte, die über die Leinwände und Zeichenpapiere huschen, um sich dann irgendwann festzusetzen. Auch hier geht es nicht um die Mitteilungen längst überholter Einsichten, auch nicht zuerst um die hohe ästhetische Qualität, sondern um die elementare Beobachtung, die Klarheit, mit der die zeitgebundene Wahrnehmung der Natur Form geworden ist.

(…) „Wenn man sich entscheidet, in einer Serie zu arbeiten, hat Mark Lammert in einem Gespräch gesagt, muss die Konzentration für eine sehr lange Zeit ausreichen. Diese Konzentration ist der Inhalt, der Versuch, in der Malerei ein Konzentrationsvolumen herzustellen, wie es vielleicht in der Zeichnung noch möglich ist.“ Konzentration? Worauf? Das ist die falsche Frage. Konzentration ist nur eine Metapher. Es geht überhaupt nicht darum, den Dingen ein Zentrum zu geben. Das Zentrum ist nicht sichtbar. Lammerts Malerei entwickelt sich vielmehr in einem Gravitationsfeld, um im physikalischen Bild zu bleiben: Es kreist um eine Mitte, die kein klar umrissenes Konstrukt darstellt, vielmehr aus all dem besteht, was er als der bestinformierte Künstler, dem ich je begegnet bin, an Information, philosophischer Erwägung, Gestalterinnerung und praktischer Erfahrung durch sich hindurchgehen läßt.

(…) So kann man vielleicht noch Kunst machen in einer Zeit, in der die sich in miesepetrige oder hyperventilierte Allverständlichkeit auflöst. Dass all dies im Modus der Schönheit geschieht, hat mit Karl Marx zu tun. Lammerts Lieblingszitat dieses Alten Meisters ist nicht die elfte Feuerbach-These sondern eine Notiz, die der gegen Ende seiner Tage in der Londoner Bibliothek aufschrieb: Beauty is booty, Schönheit ist Beute. Der Künstler als Jäger, nur auf den ersten Blick ein unpassendes Bild.

Matthias Flügge

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